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Die Liste der Komponisten wird laufend ergänzt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Dmitri Schostakowitsch (25.09.1906–09.08.1975)

Dmitri Schostakowitsch war ein russischer Komponist und Pianist. Er besuchte die Stadt Leipzig im Jahr 1950, um an den Feierlichkeiten zum 200. Todestags J. S. Bachs teilzunehmen.

  1. Lebensstationen
  2. Privates
  3. Verbindung zu Leipzig
  4. Rezeption
  5. Werke
  6. Quellen und Links

1. Lebensstationen

Dmitri Dmitrijewitsch Schostakowitsch wurde am 25. September 1906 in St. Petersburg geboren. Er war das zweite von drei Kindern des Ingenieurs Dmitri Boleslawowitsch Schostakowitsch und der Pianistin Sofia Kokulina. Die Mutter sorgte dafür, dass er frühzeitig Klavierunterricht bekam. Mit dreizehn Jahren, im Jahr 1919, begann er am Konservatorium im damaligen Petrograd Klavier bei Leonid Nikolajew und Komposition bei Maximilian Steinberg zu studieren. Als 1922 Schostakowitschs Vater ganz unerwartet an einer Lungenentzündung starb, geriet die Familie in finanzielle Notlage – auch durch die politisch sehr unsichere Zeit nach der Revolution. In dieser Zeit erkrankte Schostakowitsch an Tuberkulose. Nach Behandlung und Genesungszeit begann er als Stummfilmpianist in verschiedenen Kinos zu arbeiten.

1925, im Alter von 19 Jahren erzielte, er mit seiner ersten Sinfonie einen so großen Erfolg, dass er als Komponist im In- und Ausland bekannt wurde und sein Studium am Konservatorium abschließen konnte. Die Sinfonie wurde 1926 von den Leningrader Philharmonikern uraufgeführt. In den Jahren ab 1928 komponierte er die Opern Die Nase und Lady Macbeth, mit der er einen riesigen Erfolg feierte. Sowohl das Publikum als auch die Kritiker zeigten sich begeistert und sein Ruhm nahm zu.

Zwei Jahre und 200 Aufführungen später besuchte Stalin die Oper Lady Macbeth. Er soll die Vorstellung vorzeitig verlassen haben. Ein paar Tage später erschien in der Prawda der niederschmetternde Artikel Chaos statt Musik über sein Werk. Alle Aufführungen wurden sofort abgesagt. Zu dieser Zeit befand sich Schostakowitsch auf einer Konzertreise im Norden des Landes. Im damaligen politischen Klima bedeutete die Situation für ihn ständige Angst vor politischer Verfolgung und Verhaftung durch das Innenministerium der UdSSR. Mehrere Befragungen durch den Geheimdienst folgten.

Der politische Druck führte dazu, dass er die Arbeit an seiner 4. Sinfonie unterbrach. 1937 begann er, stattdessen seine gemäßigte 5. Sinfonie zu komponieren. Die Uraufführung war erneut erfolgreich, symbolisierte sie doch Schostakowitschs vermeintliches Bekenntnis zur sowjetischen Kulturpolitik. Offiziell wurde sie als seine Rückbesinnung auf die sowjetische Kultur dargestellt, das Finale der Sinfonie als Triumpfmarsch des Regimes. Der Komponist selbst soll in seinen Memoiren – Echtheit unbelegt – noch eine zweite Deutungsebene eröffnet haben, die den letzten Satz der 5. Sinfonie als Todesmarsch interpretiert, dessen Jubel unter Drohungen erzwungen sei. Im gleichen Jahr wurde er an den Lehrstuhl für Komposition des Konservatoriums Leningrad berufen.

Als im Oktober 1941 die Belagerung Leningrads begann, wurde Schostakowitsch mit seiner Familie nach Moskau, dann nach Kuibyschew evakuiert. 1943 kehrte die Familie nach Moskau zurück. Nach dem Ende des Krieges entbrannte die Diskussion um moderne Musik und mit ihr die Formalismus-Vorwürfe gegen Schostakowitsch von neuem. Er verlor alle seine Ämter – der Komponist war 1947 zum Vorsitzenden des Leningrader Komponistenverbandes ernannt worden – wodurch die Familie in finanzielle Schwierigkeiten geriet.

Nach Stalins Tod 1953 gelang es Schostakowitsch nach und nach, seinen Ruf als Komponist wiederherzustellen. Er setzte sich für Komponisten ein, die wie er unter dem politischen System gelitten hatten. Für seinen jahrelangen Schützling Mieczysław Weinberg beispielsweise, der ebenfalls wegen formalistischer Tendenzen in seinen Werken in Konflikt mit dem Regime geraten war und als einer von den kleinen Schostakowitschen bezeichnet wurde, schrieb er einen für sich mit großem Risiko verbundenen Brief und forderte dessen Freilassung aus dem Gefängnis. 1958 wurden er und andere sowjetische Komponisten durch eine Resolution der KPdSU rehabilitiert. Seine Aufnahme in die Partei folgte. Er wurde Sekretär des Komponistenverbandes der UdSSR. Auf Einladung der DDR-Regierung reiste er wenig später in die Nähe von Dresden, um die Musik zum Film Fünf Tage – Fünf Nächte zu komponieren. Nach seiner Rückkehr konnte er seine Lehrtätigkeit wiederaufnehmen. Als Professor am Leningrader und Moskauer Konservatorium unterrichtete er wichtige zeitgenössische Komponisten.

Schwere Erkrankungen und mehrere Krankenhausaufenthalte führten schließlich zu einem Herzinfarkt, an dem Schostakowitsch am 9. August 1975 verstarb. Nach einem ständigen Leben in Angst muss seine seelische Verfassung in seinen letzten Jahren wohl auch sehr instabil gewesen sein. Schostakowitsch wurde auf dem Nowodewitschi-Friedhof in Moskau begraben.

2. Privates

Nachdem Schostakowitsch seine zweite Sinfonie beendet hatte, traf er im Jahr 1927 auf die beiden Schwestern Warsar. Sie waren die Töchter eines sehr bekannten Juristen. Da er sich sehr zu einer der beiden Schwestern, Nina, hingezogen fühlte, verbrachte Schostakowitsch viel Zeit bei der Familie Warsar. Die war jedoch zunächst gegen eine Hochzeit der beiden, da Nina ihr Mathematik- und Physikstudium noch nicht abgeschlossen hatte. Doch schließlich heiratete das Paar am 13. Mai 1932. Einige Monate zuvor hatte es bereits einen Hochzeitstermin gegeben, zu dem Schostakowitsch aber nicht erschien – er hatte kalte Füße bekommen, was ihn in eine tiefe Krise stürzte, und blieb einige Tage verschwunden.
Das Paar bekam zwei Kinder – Tochter Galina und Sohn Maxim. Nina Warsar verstarb nach einem kurzen Klinikaufenthalt im Jahr 1955 an einem Krebsleiden. Schostakowitsch heiratete zwei Jahre später die Komsomol-Aktivistin und Lehrerin Margarita Andreyewna Kainova. Die Ehe war nicht glücklich und so ließ sich das Paar schon drei Jahre später wieder scheiden. Zu dieser Zeit kannte er bereits Irina Antonowna Supinskaya, eine Verlegerin, die er 1962 heiratete. Sie war nur ein Jahr älter als seine Tochter Galina.

3. Verbindung zu Leipzig

1929 erklang zum ersten Mal Musik Schostakowitschs im Gewandhaus; am 14. November dirigiert Bruno Walter seine 1. Sinfonie.
Persönlich kam Schostakowitschim Jahr 1950 nach Leipzig. Er wohnte den Feierlichkeiten anlässlich Bachs 200. Todestag bei. Die politische Situation war zu jener Zeit schwierig für ihn, denn er war als Repräsentant der sowjetischen Musik nach Leipzig gekommen. Hans Meyer erinnert sich an seine „Maske des widerwillig amtierenden Staatsgastes“1, die er nur selten fallen ließ – einmal, als er Bachs
H-moll-Messe in der Thomaskirche hörte. Inspiriert von diesem Ereignis entstanden in dieser Zeit die 24 Präludien und Fugen op. 87.
Auch neuere Kompositionen wurden gern und oft im Gewandhaus gespielt. Im September 1976 begann ein sich über 2 Jahre erstreckender Beethoven-Schostakowitsch-Zyklus mit insgesamt 20 Konzerten. Neben den Sinfonien wurden auch andere wichtige Instrumentalwerke gespielt. Den Anlass dazu gaben Beethovens 150. und Schostakowitschs 70. Geburtstag. Kurt Masur betonte den Wunsch, „die große musikalische Vergangenheit mit der Musik unserer Epoche zu verbinden…“2. Die Werke Schostakowitschs nahmen einen großen Teil der Gewandhauskonzertprogramme zwischen 1950 und 1968 ein. Eine im Jahr 1968 aufgestellte Statistik zeigt, dass 20 Mal Werke des Komponisten aufgeführt wurden, was immerhin 1,6 % des Gesamtprogramms entspricht.


1  Meyer, Hans: Gelebte Musik. Erinnerungen, Suhrkamp 1999, S. 217.

2  Böhm, Claudius & Staps, Sven-W.: 250 Jahre Leipziger Stadt- und Gewandhausorchester, Leipzig 1993, S. 241.

4. Rezeption

Die Rezeption von Schostakowitschs Werken stand schon immer stark mit außermusikalischen und ideologischen Aspekten in Verbindung. Die Wahrnehmung seiner Musik befand sich stets im Spannungsfeld seiner Beziehung zum Sowjetregime und seiner künstlerischen Wahrhaftigkeit. Die ersten beiden Sinfonien waren große Erfolge sowohl bei Kritikern als auch beim Publikum und verschafften ihm Aufmerksamkeit und Anerkennung in der Öffentlichkeit. Doch bereits bei seiner 2. Sinfonie An den Oktober (1927) zeigt sich der Konflikt zwischen Schostakowitsch als regimetreuem Komponisten, wie er vor allem von westlichen Zeitgenossen rezipiert wurde – er war gerade 21 Jahre alt – und dem Avantgardisten Schostakowitsch, der durch Werke wie die Die Nase (1930) bei Stalin in Ungnade fiel. Trotz der Zurückhaltung vieler Werke, die sicher dem Vorwurf des Formalismus ausgesetzt gewesen wären, und der Veröffentlichung gemäßigter Werke, wie der 5. Sinfonie, wurde Schostakowitsch politisch verfolgt und unter Druck gesetzt. Im Kontrast dazu wurde er zum Professor am Leningrader Konservatorium berufen, zum Vorsitzenden des Leningrader Komponisten-Verbandes gewählt und 1941 sogar mit dem Stalinpreis für sein Klavierquintett und einen weiteren für Filmmusik ausgezeichnet. Nach Stalins Tod wurde er nach und nach wieder stärker in der Öffentlichkeit anerkannt, sowohl in der Sowjetunion als auch im Ausland, und schließlich offiziell rehabilitiert. Es folgten Ehrungen, wie der finnische Wihuri-Sibelius-Preis und die Ehrendoktorwürde der University of Oxford.

 

5. Werke

Bühnenwerke

Opern, wie:                           
-
Nos (Die Nase), op. 15 – Oper in drei Akten, UA 1930
-
Ledi Makbet Mzenskowo ujesda (Lady Macbeth von Mzensk), op. 29 – Oper in vier Akten (neun Bildern), UA 1934
-
Katarina Ismailowa, Neufassung der Lady Macbeth von Mzensk, op. 114, UA 1963

Ballette, wie:                            
-
Solotoi wek (Das goldene Zeitalter), op. 22 – Ballett in drei Akten, UA 1930
- Bolt (Der Bolzen) op. 27 – Ballett in drei Akten, UA 1931
-
Swetly rutschei (Der helle Bach), op. 39 – Ballett in drei Akten (vier Bildern), UA 1935

1 Operette:                            
 -
Moskau, Tscherjomuschki, op. 105 – Operette in 3 Akten, UA 1959

Orchestwerke:

- 15 Sinfonien

Konzerte, wie:                          
-
Violinkonzert Nr. 1 a-Moll op. 77 (1947/48)
- Klavierkonzert Nr. 2 F-Dur op. 102 (1957)
-
Cellokonzert Nr. 1 Es-Dur op. 107 (1959)

Suiten, wie:                            
-
Suite für Jazzorchester Nr. 1, o. op. (1934)
-
Suite für Varieté-Orchester (um 1955)

Außerdem Märsche und andere Instrumentalstücke

Filmmusik (Auswahl):

- Das neue Babylon op. 18 (1929)
-
Mann mit Gewehr op. 53 (1938)
-
Das unvergeßliche Jahr 1919 op. 89 (1951)
-
Fünf Tage – Fünf Nächte op. 111 (1961

Kammermusik

- 15 Streichquartette
- 2 Klaviertrios
- 1 Streichquintett

Außerdem Sonaten u.a.

Klavierwerke, wie:

- Präludien
- Concertino für zwei Klaviere op. 94 (1953)

Außerdem Tänze, eine Suite u.a.

Vokalmusik

- Zahlreiche Werke für Singstimme und Klavier
- Werke für Singstimme und Orchester
- Werke für Chor und Orchester, u.a. auch 2., 3. und 13. Sinfonie
- 3 Werke für Chor a cappella

Hörbeispiele

Suite für Jazzorchester Nr. 1, o. op. (1934) https://www.youtube.com/watch?v=Kz90iTlVPd0
Streichquartett Nr. 8, op. 111 (1960) https://www.youtube.com/watch?v=wokx576v5Y0
7. Sinfonie in C-Dur, op. 60 Leningrader Sinfonie (1941) https://www.youtube.com/watch?v=GB3zR_X25UU

6. Quellen und Links

Böhm, Claudius & Staps, Sven-W.: 250 Jahre Leipziger Stadt- und Gewandhausorchester, Leipzig 1993.
Feuchtner, Bernd: Dimitri Schostakowitsch "Und Kunst geknebelt von der groben Macht" : künstlerische Identität und staatliche Repression : eine Monographie, Sendler 1986.
Gojowy, Detlef: Art. Šostakovič, Dmitrij Dmitrievič in: MGG Online, hrsg. von Laurenz Lütteken, Kassel, Stuttgart, New York 2016ff., zuerst veröffentlicht 2006, online veröffentlicht 2016, https://www.mgg-online.com/mgg/stable/11470.
Meyer, Hans: Gelebte Musik. Erinnerungen, Suhrkamp 1999.
Meyer, Krzysztof: Schostakowitsch. sein Leben, sein Werk, seine Zeit, Gustav Lübbe Verlag 1995.
https://www.schostakowitsch.de/Schostakowitsch/

Bild
Quelle Wikipedia, Dmitri Shostakovich's portrait, in the audience at the Bach Celebration of July 28, 1950. Photo by Roger & Renate Rössing.