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Die Liste der Komponisten wird laufend ergänzt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Hugo Distler (24.06.1908–01.11.1942)

Hugo Distler war ein deutscher Komponist und evangelischer Kirchenmusiker. Er studierte einige Jahre am Leipziger Landeskonservatorium für Musik.

  1. Lebensstationen
  2. Privates
  3. Verbindung zu Leipzig
  4. Rezeption
  5. Werke
  6. Quellen und Links

1. Lebensstationen

Hugo Distler wurde am 24. Juni 1908 in Nürnberg als Sohn einer Damenschneiderin und eines Maschinenbauingenieurs geboren. Schon im frühen Kindesalter zeigte er eine große musikalische Begabung, die von seinem Klavierlehrer Carl Dupont und Erich Rhode, der ihn in Musiktheorie unterrichtete, erkannt und gefördert wurde.

Er besuchte das Realgymnasium in Nürnberg, bevor er nach bestandenem Abschluss nach Leipzig zog, wo er bei seiner Tante und Cousine wohnte. Im Frühjahr 1927 bewarb er sich am Landeskonservatorium für Musik (heute Hochschule für Musik „Felix Mendelssohn Bartholdy“ – HMT) und bestand die Aufnahmeprüfung. Er studierte zunächst Dirigieren und Klavier, später dann Komposition und Orgel. Sein Orgellehrer Günther Ramin war auch derjenige, der ihn 1930 für die Stelle des Organisten an der Jakobikirche in Lübeck vorschlug. Distler hatte zu diesem Zeitpunkt sein Studium noch nicht abgeschlossen, musste aber nach dem Tod seines Großvaters, der ihm bis dahin sein Studium finanziert hatte, seinen Lebensunterhalt allein bestreiten. Am 1. Januar 1931 begann Distler als Organist zu arbeiten. In Lübeck entstand ein Großteil seiner geistlichen Chorwerke. Wegen seiner schlechten finanziellen Lage hatte er außerdem begonnen, den Chor des Handlungsgehilfenverbandes zu leiten.

Im Juni 1933 übernahm er neben dem Amt in Lübeck noch eines in Spandau. Die beiden Aufgaben bedeuteten eine sehr große Arbeitslast, der er sich bald nicht mehr gewachsen fühlte. Er gab seine Position in Spandau im Jahr 1934 auf. Bereits im Oktober 1933 wurde er als Dozent an das Staatskonservatorium in Lübeck berufen, wo er sich für die Einrichtung eines eigenen Kirchenmusikalischen Instituts eingesetzt hatte. Sein Einsatz führte zu Konflikten mit dem zuständigen Staatsminister Ullrich Burgstaller, der auch Pfarrer der Deutschen Christen war. Distlers Plan wurde 1935 schließlich genehmigt. Den Wunsch, allein von seinen Kompositionen leben zu können, gab er nie auf. Trotz der verschärften Zensur versuchte immer wieder Wege zu finden, sich künstlerisch frei zu entfalten und seine Werke öffentlich aufzuführen. 1936 verließ er Lübeck und zog nach Stuttgart. Dort lehrte er Chorleitung und Musiktheorie an der Musikhochschule und leitete den Hochschulchor sowie die Hochschulkantorei.

1940 zog Distler dann nach Strausberg bei Berlin, wo er als Professor für Chorleitung, Tonsatz, Komposition und Orgel an die Hochschule für Musik berufen wurde. Zwei Jahre später begann er, den Berliner Staats- und Domchor zu leiten. Sowohl in Stuttgart als auch in Berlin war er wegen seines kirchenmusikalischen Schaffens starken persönlichen Angriffen ausgesetzt. Dies und die allgemeine politische Situation in Deutschland während des Nationalsozialismus brachten ihn schließlich dazu, sich am 1. November 1942 das Leben zu nehmen.

2. Privates

Einen Großteil seiner Kindheit verbrachte Distler bei seinen Großeltern in Nürnberg. Seine Mutter heiratete 1912 den Deutschamerikaner Anthony Meter und zog mit ihm nach Chicago. Meter wollte den Jungen adoptieren und mit nach Amerika nehmen, doch die Großeltern verweigerten ihre Zustimmung. 1919 kehrte Distlers Mutter mit ihrem zweiten Sohn Anton nach Nürnberg zurück. Ihr Mann war verstorben. Sie zog in das elterliche Haus, wo auch ihre Schwester und Nichte wohnten. Das Gefühl „von allem und jedem getrennt zu sein“, von dem er zwei Wochen vor seinem Tod an seine Frau schrieb, erfuhr er also sicher schon im Kindesalter.

1932 lernte Distler in Lübeck seine spätere Ehefrau Waltraut Thienhaus kennen. Am 14. Oktober 1933 heirateten die beiden. Sie bekamen drei Kinder: Barbara (1934), Andreas (1936) und Brigitte (1941). Durch die finanzielle Belastung einer großen Familie war Distler immer einem sehr umfangreichen Arbeitspensum ausgesetzt (parallel zwei Kirchenämter, Dozent und Komponist), was zu einem Nervenzusammenbruch im Jahr 1934 führte.

Das entsetzliche Kriegsgeschehen, die Verfolgungen und schließlich ein Verhör durch den SS-Führer Karl Cerff erschütterten Distler so sehr, dass er keinen anderen Ausweg sah, als sich durch eine Gasvergiftung das Leben zu nehmen. Zuvor hatte er im Kreis seiner Familie den Domgottestdienst verrichtet. Seine Frau und seine Cousine fanden ihn schließlich in tot in seiner Dienstwohnung. „Ich habe nur noch eine Bitte in der Welt: daß Du mir nicht zürnst. Wer weiß wie Du, welche Lebensangst in mir gesessen hat, seit ich lebe? Alles, was ich schaffte, stand unter diesem Zeichen.“ Das schrieb er in einem Abschiedsbrief an seine Frau und offenbart damit die belastende Seite der großen Sensibilität, die ihn als Künstler auszeichnete. Wenige Menschen aus seiner Umgebung erahnten, wie es Distler wirklich ging, erledigte er seine Arbeit doch immer verlässlich und war im öffentlichen Leben, in der Familie und der Kirche präsent.

3. Verbindung zu Leipzig

Nach einer erfolglosen Bewerbung in Nürnberg begann Distler sein Studium 1927 in Leipzig, wo auch seine Tante und Cousine lebten. Zunächst wollte er eine Laufbahn als Kapellmeister und Pianist einschlagen. Angeregt durch seinen Leipziger Lehrer für Tonsatz, Hermann Grabner, entschied sich Distler jedoch schon nach den ersten Monaten dazu, auf eine Karriere als Pianist zu verzichten und stattdessen Komponist zu werden. Als Schüler Grabners, dessen Kompositionen Distler sehr schätzte und zu dem er ein fast väterliches Verhältnis aufbaute, und unter dem Einfluss seines Klavierlehrers Carl Adolf Martienssen, begann Distler seine eigene musikalisch-kompositorische Sprache zu entwickeln, die auch in späteren Werken deutlich zu erkennen ist. Zunächst hatte er jedoch Schwierigkeiten mit der strengen und sehr konservativen Kompositionsweise Grabners. Er war begeistert von modernen Werken, wie König David von Arthur Honegger, welches er im Gewandhaus erlebte. Später begann er, Orgelunterricht bei Günther Ramin zu nehmen. Seinem Umfeld fiel sein großer Arbeitseifer und die Ernsthaftigkeit, mit der er seine Studien betrieb, auf.

Zwei von Distlers Werken der Leipziger Zeit wurden auf Empfehlung Karl Straubes beim Verlag Breitkopf & Härtel veröffentlicht:

Konzertante Sonate für zwei Klaviere, op. 1
Herzlich lieb hab ich Dich, o Herr, op. 2

Eine prägende Persönlichkeit, die für die Werke Distlers und auch anderer Komponisten seiner Generation eine wichtige Rolle spielte, war Kurt Thomas. Er leitete die Kantorei des Kirchenmusikalischen Instituts in Leipzig und war auch einer der Mitstreiter bei der sogenannten „Erneuerung“ der geistlichen Musik, zu der auch Distler maßgeblich beitrug.

Leider ging Distlers Zeit in Leipzig frühzeitig zu Ende, was seiner finanziellen Situation geschuldet war. Ständig musste er sich mit Nebenverdiensten über Wasser halten, was ihn sehr belastete. Schließlich befand er sich in einer derartigen Notlage, dass er sein Studium abbrechen und auf den Rat seines Orgellehrers Günther Ramin hin eine Organistenstelle in Lübeck annehmen musste, die er im Januar 1931 antrat. Durch seine in Leipzig lebenden Verwandten gab es aber Zeit seines Lebens eine Verbindung mit der Stadt, von der Abschied zu nehmen ihm sehr schwer fiel: „Der Abgang von der Hochschule, der ich so viel zu verdanken hatte, und der Abschied von der Großstadt und allem, was sie dem Studierenden geboten, fielen mir in der Tat sehr schwer. Dieser Abschied war für mich dazumal gleichbedeutend mit dem Verzicht auf Laufbahn und Erfolg in der Kunst. Ich hatte als strebsam und ehrgeizig gegolten und soeben neben meinem Kirchenmusikstudium meine ersten erfolgreichen Kompositionen veröffentlicht.“1


1  http://www.hugo-distler.de/, 09.07.2020, 10:14 Uhr.

4. Rezeption

Hugo Distlers Person und auch sein Wirken müssen im Spiegel der geschichtlichen Zusammenhänge gesehen werden. Das Spannungsfeld zwischen Verzweiflung und Krise auf der einen und der Hoffnung von Distler als Christ auf der anderen Seite zeigt sich auch in seinem künstlerischen Ausdruck, beispielsweise in seinen Motetten. Ein Spannungsfeld eröffnet auch sein Verhältnis zum Regime des dritten Reiches. Dort ein differenziertes Bild zu finden, stellt eine Herausforderung dar. Oft wird er als Gegner des Nationalsozialismus beschrieben, der immer wieder in Konflikt mit Organisationen der NSDAP geriet, beispielsweise bei der gewaltsamen Verhinderung der Aufführung seiner „Weihnachtsgeschichte“ 1936 durch die Gestapo, durch die Angriffe gegen seine kirchenmusikalisches Schaffen seitens der NS-Studentenschaft in Stuttgart und die planmäßige Sabotage des Knabenchors des Berliner Doms durch die HJ. Distler geriet immer mehr in das Visier der SS und seine Haltung zum NS-Regime wurde zusehends kritischer. Auf der anderen Seite dieses Bildes stehen aber seine Versuche, sich dem System anzupassen. Als Gegenleistung für die Genehmigung des Kirchenmusikalischen Instituts komponierte er beispielsweise die Thingspiel-Kantate „Ewiges Deutschland“ über Texte des Leiters der Lyrikabteilung der Reichsschrifttumskammer, Wolfram Brockmeier. Er trat 1933 in die NSDAP ein, wahrscheinlich aber vor allem auf Anraten seiner damaligen Arbeitgeber, des Lübecker Pastors an der Jacobikirche, Axel Werner Kühl, und des Kantors Bruno Grusnick, die beide Mitglieder der NSDAP waren.

Im Inneren war Hugo Distler aber sicher ein Gegner des NSDAP-Regimes. In einem Brief von 1942 an Alfred Kreutz schrieb er: „Im übrigen wissen wir freilich überhaupt nicht, wie die Menschheit nach dem grausamen Krieg aussehen wird – davon schließlich wird alles abhängen. Wenn es so weitergeht wie bisher, dann zurück in die Einsamkeit [...] Solang heißt es halt aushalten. Aber es ist dafür gesorgt, daß einem dieses Aushalten so schwer gemacht wird wie möglich.“

Gemeinsam mit Komponisten wie Ernst Pepping, Kurt Thomas, Johann Nepomuk David und anderen komponierte Hugo Distler im Sinne einer Regeneration der geistlichen Musik. Sie beinhaltete neben der Rückbesinnung auf alte Musik und ihr Instrumentarium auch die Konzentration auf einfache lineare und polyphone, leicht singbare Strukturen, wie man sie in protestantischen Chorälen erfährt. In der Schrift „Vom Geist der neuen Evangelischen Kirchenmusik“ von 1935 spricht Distler außerdem von einer Unterordnung der Musik unter die gottesdienstliche Handlung. Er sieht aber dennoch eine spirituelle Verbindung zu einer „wahrhaft schöpferischen Einzelpersönlichkeit“. Mit diesem offenen Blick auf die neuere Kirchenmusik zählen seine Werke zu wegweisenden Kompositionen.

5. Werke

Distler wurde vor allem als Komponist geistlicher und weltlicher Chormusik bekannt:

Auswahl

Choralpassion op. 7 für fünfstimmigen gemischten Chor und zwei Vorsänger (1932)
Der Jahrkreis, (1933, 52 zwei- und dreistimmige Chormusiken)
Die Weihnachtsgeschichte op. 10 für gemischten Chor und vier Vorsänger (1933)
Geistliche Chormusik op. 12, (1935–1941), Sammlung von neun Motetten für das Kirchenjahr (inkl. Totentanz)
Mörike-Chorliederbuch (1938/39)

Außerdem Orgelmusik wie Partiten, Choralbearbeitungen und eine Sonate, zwei Cembalokonzerte (1930/32 und 1935) und Kammermusik. Er verfasste eine Funktionelle Harmonielehre (1940).

Hörbeispiele

Konzert für Cembalo und Streichorchester (1935)  https://www.youtube.com/watch?v=z0uU8ZXDvAo
Maria durch ein` Dornwald ging  https://www.youtube.com/watch?v=AEpy2H8YggM
Die Weihnachtsgeschichte op. 10 (1933)  https://www.youtube.com/watch?v=8kIn1TchsmI

6. Quellen und Links

Distler-Harth, Barbara: Hugo Distler. Lebensweg eines Frühvollendeten, Schott Music 2008.
Grusnick, Bruno:
Hugo Distler, Lübeck 1982.
Lüdemann, Winfried: Hugo Distler – Eine musikalische Biographie, Wissner-Verlag 2002.
Prieberg, Fred K.: Handbuch Deutsche Musiker 1933-1945, Oliver Kopf 2009.

 http://www.hugo-distler.de/

Bild
Wikipedia, Barbara Distler-Harth, Urheber Karl Schweinsberg, 1941. Diese Datei ist unter der Creative-Commons-Lizenz „Namensnennung – Weitergabe unter gleichen Bedingungen 3.0 nicht portiert“ lizenziert