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Die Liste der Komponisten wird laufend ergänzt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Niels Wilhelm Gade (22.02.1817–21.12.1890)

Niels Gade war ein dänischer Komponist und Dirigent, der zum Studium nach Leipzig kam. 1844/45 leitete er das Gewandhausorchester allein, danach abwechselnd mit Felix Mendelssohn Bartholdy. Nach dessen Tod übernahm er die Leitung des Orchesters bis 1848 wieder allein. Gade war eng mit Clara und Robert Schumann befreundet.

  1. Lebensstationen
  2. Privates
  3. Verbindung zu Leipzig
  4. Rezeption
  5. Werke
  6. Quellen und Links

1. Lebensstationen

Gade wuchs in Kopenhagen in einfachen Verhältnissen auf. Er begann eine Lehre bei seinem Vater, einem Schreiner und Instrumentenbauer, wechselte jedoch bereits nach einem halben Jahr als Violinist zur Königlichen Kapelle in Kopenhagen. Gleichzeitig studierte er privat Komposition bei Andreas Peter Berggreen, der sich als einer der ersten in Dänemark auf eine Ästhetik der Nationalmusik – begründet in der Volksmusik – bezog. Die Melodiebildung und Harmonik Gades früher Werke wurzeln in Volkstänzen und -liedern und sind von der nordischen Literatur inspiriert. Als Komponist wurde er 1841 schlagartig bekannt, als er einen Kompositionswettbewerb des Kopenhagener Musikvereins mit seiner Ouvertüre Nachklänge von Ossian gewann. 1843 ermöglichte ein königliches Reise-Stipendium Gade, seine Studien in Leipzig fortzusetzen, wo Mendelssohn sein Mentor wurde. Gade blieb fünf Jahre, in denen er auch in die Schweiz und nach Italien reiste. Während er 1844 in Rom weilte, erhielt er aus Leipzig das Angebot, neben Mendelssohn die Gewandhauskonzerte zu leiten und als Lehrer am Konservatorium zu unterrichten, was er freudig akzeptierte. Als 1848 der Deutsch-Dänische Krieg ausbrach, hielt Gade sich gerade in Kopenhagen auf und kehrte nicht wieder nach Leipzig zurück. In seiner Geburtsstadt wirkte er vierzig Jahre lang als Leiter des Kopenhagener Musikvereins, ab 1855 war er Organist der Holmens Kirke, 1861 wurde er zum Hofkapellmeister ernannt und 1867 war er einer der Gründer des Kopenhagener Konservatoriums. Gade starb 1890 in Kopenhagen und hinterließ ein umfangreiches Œuvre, das acht Sinfonien, zahlreiche Vokalwerke sowie Klavier-, Orgel- und Kammermusik umfasst.

 

2. Privates

Äußerlich muss der junge Gade viele Zeitgenossen an Mozart erinnert haben, auch Robert Schumann wies in seiner Neuen Zeitschrift für Musik darauf hin: „In einem französischen Blatte war vor kurzem zu lesen: ‚Ein junger dänischer Komponist macht jetzt in Deutschland Aufsehen, er heißt Gade ... und sieht aus wie der leibhaftige Mozart‘.“1 In Leipzig soll er u. a. deshalb zahlreiche Verehrerinnen gehabt haben.

1852 heiratete Gade Sophie Hartmann, die Tochter des deutsch-dänischen Komponisten Johann Peter Emilius Hartmann, der im dänischen Musikleben seiner Zeit als die Autorität schlechthin galt und eine Künstler-Dynastie begründete: Sein Sohn Emil Hartmann, seine Urenkel Niels Viggo Bentzon und Jean-Pierre Waelbroeck wurden namhafte Komponisten und der dänische Regisseur Lars von Trier ist ebenfalls eine Nachkomme Hartmanns. Sophie Gade geb. Hartmann starb 1855 nach der Geburt von Zwillingen. 1857 heiratete der Komponist Mathilde Staeger.


1  Schumann, Robert: Niels W. Gade, in: Neue Zeitschrift für Musik 20 (1844), S. 1f.

3. Verbindung zu Leipzig

Zu einer Begegnung zwischen Clara Schumann und Gade kam es während eines Aufenthaltes Claras 1842 in Kopenhagen: „Dem hätte ich diese Ouvertüre nicht angesehen“, schrieb sie beeindruckt nach einer Aufführung des Ossian an Robert Schumann und merkt an, Gade habe sich auch begeistert gezeigt über Schumanns musikalisches Schaffen. Zu diesem Zeitpunkt muss Gade bereits alle Werke von Robert Schumann gekannt und dessen Werdegang verfolgt haben. Ein Jahr später traf Gade in Leipzig ein, um – mit einem Stipendium ausgestattet – am gerade eröffneten Konservatorium zu studieren.

Gade kam in eine Musikstadt von europäischem Ruf und mit einer jahrhundertelangen Tradition. Felix Mendelssohn Bartholdy hatte 1835 das Amt des Gewandhaus-Musikdirektors übernommen und es zu einem Konzertensemble ersten Ranges entwickelt. Mit einer neuen Programm-Konzeption wollte er den musikalischen Geschmack des Publikums kultivieren und für Neues öffnen. Im Repertoire fanden sich Komponisten des Barocks und der Wiener Klassik, aber auch Vertreter der modernen Romantik, wie die von Gade sehr verehrten Zeitgenossen Schumann und Mendelssohn.

1843 war, angeregt durch Mendelssohn, das Leipziger Conservatorium der Musik, eröffnet worden. Hoher professioneller Anspruch und ein moderner Ansatz der Gleichberechtigung von Theorie und Praxis dienten der Ausbildung von befähigten Berufsmusikern, Komponisten und Musikpädagogen. Studenten aus anderen Ländern waren willkommen – nach Briten und US-Amerikanern stellten die Skandinavier die drittgrößte Gruppe ausländischer Studierender.

In Mendelssohn fand Gade in Leipzig seinen Mentor. Dank dessen Vermittlung wurden noch im Jahr 1843 die Ossian-Ouvertüre und zwei Sinfonien Gades im Gewandhaus aufgeführt. Mendelssohn selbst leitete die Uraufführung der Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 5.

1844/45 übernahm Gade im Wechsel mit Mendelssohn die Leitung der Gewandhauskonzerte, die er nach dessen frühem Tod 1847 bis zu seiner Rückkehr nach Kopenhagen im Frühjahr 1848 als Gewandhauskapellmeister alleine leitete. In der Leipziger Musikwelt wurde seine Rückkehr nach Dänemark sehr bedauert: „Den Glanz, den er um sich verbreitet hatte, die Freundlichkeit, die er verströmte, die Produktivität, durch die er staunen machte, vermisste man in Leipzig seitdem“, schreibt Jan Brachmann.1 Nach dem Ende des Deutsch-Dänischen Krieges dirigierte Gade im Jahre 1853 noch einmal zehn Gewandhaus-Konzerte in Leipzig.

Mit Clara und Robert Schumann war Gade in Leipzig in engem Austausch, er verbrachte auch privat viel Zeit mit beiden – beim gemeinsamen Musizieren, auf Ausflüge und Reisen, so etwa nach Berlin zu Mendelssohn. Schumann zeigte seine Wertschätzung Gades durch dessen Aufnahme in den Kreis der Leipziger Davidsbündler. Die Freundschaft blieb eine lebenslange und wurde durch Briefe und Besuche lebendig gehalten. 1850 kam Gade zur Uraufführung von Schumanns Genoveva wieder nach Leipzig. Die Freunde widmeten sich auch gegenseitig Werke: Gade dedizierte Clara Schumann die 1842 komponierte Klaviersonate A-Dur op. 6 und Robert Schumann die 1849 entstandene Sonate d-Moll op. 21A. Dieser wiederum widmete Gade sein Klaviertrio g-Moll op. 110 und setzte ihm in seinem Album für die Jugend mit Nr. 31 Nordisches Lied – Gruß an G. durch die Tonfolge der Melodie G-A-D-E ein musikalisches Denkmal.

Zurückgekehrt in seine dänische Geburtsstadt, regten die Erfahrungen der Leipziger Jahre und der intensive Kontakt mit Mendelssohn und Schumann Gade dazu an, das rückständige Kopenhagener Musikleben nach Leipziger Vorbild zu reformieren. Als Dirigent des Musikvereins-Orchesters veranlasste er eine grundlegende Umgestaltung der Konzerte nach dem Gewandhaus-Typus und steigerte die Spielqualität des Orchesters nach Mendelssohns Vorbild durch strenge Auswahl der Musiker und hohe Probendisziplin.

Auch in seinen Kompositionen suchte Gade nach einem neuen Ausdruck, indem er sich weiter intensiv mit der Leipziger Schule und deren universellem Anspruch auseinandersetzte.

1867 gründete Gade mit J. P. E. Hartmann und H. S. Paulli das Kopenhagener Konservatorium, bis zu seinem Tode war er dort Direktor und Dozent für Komposition, Musikgeschichte und Instrumentation. Er übernahm dabei das Curriculum der Leipziger Schule, das Prozedere der Aufnahme- und Abschlussprüfung und die Bereitstellung von Stipendien für weniger zahlungskräftige, aber begabte Studienanwärter. Die Einschreibungen wurden begrenzt, womit eine der Ausbildung abträgliche Überfüllung der Klassen vermieden werden konnte, wie Gade sie als Lehrer am Leipziger Konservatorium erleben musste.


1  Jan Brachmann: Was man den Zugvögeln ablauschen kann. Dänen und Deutsche feiern den 200. Geburtstag des Komponisten Niels Wilhelm Gade. FAZ.net, 14. Januar 2017.

 

4. Rezeption

„Formel hält uns nicht gebunden, unsre Kunst heißt Poesie" – Ludwig Uhlands Worte stellte Gade 1840 als Motto vor Efterklange af Ossian, op. 1 – sie könnten zugleich programmatisch für sein gesamtes Schaffen stehen. Mit dieser Ouvertüre und seiner ersten Sinfonie brachte er einen neuartigen Klang nach Mitteleuropa, den Schumann später als "Nordischen Ton" bezeichnete.

Die nordisch-volksliedhaft Melodik trug zum raschen Erfolg seiner Werke bei. Wie populär Gade im 19. Jahrhundert in Europa war, zeigt eine Episode in Theodor Fontanes Roman „Der Stechlin“: ein „böhmischer Musikdoktor“ trägt hier den merkwürdigen Namen Niels Wrschowitz, weil sein Vater, ein slawischer Kapellmeister, so sehr für Niels Gade schwärmte.

Die Studien- und Arbeitsjahre in Leipzig öffneten den Blick des Komponisten Gade. Er setzte sich intensiv mit der Leipziger Schule auseinander, die in ihren Kompositionen einen universellen Anspruch hatte. Seine Harmonik wurde mutiger – der Einfluss Robert Schumanns, und in der klaren, linearen Stimmführung und dem freieren Umgang mit formaler Anlage findet sich Mendelssohn als Vorbild wieder.

1853 verwies Schumann in seinem berühmten Artikel »Neue Bahnen« in der Neuen Zeitschrift für Musik auf den dänischen Komponisten als „rüstig schreitenden Vorboten“ einer modernen musikalischen Entwicklung und Wegbereiter für Brahms.

Damit stand Gade nun zwischen nationalem und internationalem Anspruch. Er galt als Epigone Mendelssohns und Stimmen wurden laut, die einen stärkeren Bezug zu Folkloristischem vermissten. Gades späten Werken gilt dann stärker der Vorwurf, sie seien zu sehr um klassische Ausgeglichenheit bemüht, dagegen steht jedoch z. B. die eigenwillige Verwendung des Klaviers im Orchestersatz der Fünften Sinfonie und die Kantate Baldurs Traum, in der er sich der Tonsprache des gebürtigen Leipzigers Richard Wagner annähert.

Gade gilt als Anreger des Frühwerks von Edvard Grieg, der über das Studium und seinen Verlag Edition Peters ebenfalls eng mit Leipzig verbunden war.

Viele der Liedkompositionen Gades sind in Dänemark noch heute populär.

5. Werke

Orchestermusik (Auswahl)

Sinfonie Nr. 1 c-Moll, op. 5 (1842)
Sinfonie Nr. 2 Es-Dur, op.10 (1843)
Sinfonie Nr. 3 a-Moll, op. 15 (1847)
Sinfonie Nr. 4 B-Dur, op. 20 (1850)
Sinfonie Nr. 5 d-Moll mit Klavier, op. 25 (1852)
Sinfonie Nr. 6 g-Moll, op. 32 (1857)
Sinfonie Nr. 7 F-Dur, op. 45 (1865)
Sinfonie Nr. 8 h-Moll, op. 47 (1871)
Efterklange af Ossian (Nachklänge von Ossian, Ouvertüre, 1840)
Hamlet op. 37 (Konzertouvertüre, 1861)

Kammermusik (Auswahl)

Konzert für Violine und Orchester op. 56 (1880)
Holbergiana op. 61 (Orchestersuite, 1884)
Quintett für 2 Violinen, 2 Violen und Violoncello (1837)
Sonate für Violine und Klavier op. 6 (1842)
Oktett für 4 Violinen, 2 Violen und 2 Violoncelli op. 17 (1848–49)
Sonate für Violine und Klavier op. 21 (1849)
Streichquartett (1851)
Klaviertrio op. 42 (1862–63)
Streichsextett op. 44 (1863–64)
Fantasiestücke für Klarinette und Klavier op. 43 (1843)
Sonate für Violine und Klavier op. 59 (1885)
Folkedanse für Violine und Klavier op. 62 (1886)

 Dramatische Werke und Kantaten (Auswahl)

Agnete og havmanden (Agnethe und der Wassermann, Bühnenmusik, 1838–42)
Elverskud (Erlkönigs Tochter, Kantate, 1853)
Baldurs drøm (Baldurs Traum, Kantate, 1858)
Psyche (Kantate, 1880–81)
Der Strom (Kantate nach Mahomet von Voltaire in der Übersetzung von Goethe, 1889)

Klaviermusik (Auswahl)

Sonate in c-Moll (1840, rev. 1854)
Folkedandse (Volkstänze, 1855)
Fantasistykker (Fantasiestücke, 1862)

Orgelmusik (Auswahl)

Drei Tonstücke op. 22 (1851)
Variationen über die Partita „Sey gegrüsset Jesu gütig“ von Johann Sebastian Bach (BWV 768) für Orgel zu vier Händen (1859)

Hörbeispiele

Symphony No.1 in C-minor op.5 "On Sjoland's Fair Plains" (1842) https://www.youtube.com/watch?v=ns9WDGH6LzQ
Fantasiestücke op. 43 (1862) https://www.youtube.com/watch?v=u3avelEttlM
Hamlet Hamlet op. 37 (Konzertouvertüre, 1861) https://www.youtube.com/watch?v=2Lcq8YbR_fk

6. Quellen und Links

Kortländer/Joseph A. Kruse/Bernd Witte (Hrsg.): Übergänge. Zwischen Künsten und Kulturen. Internationaler Kongress zum 150. Todesjahr von Heinrich Heine und Robert Schumann, J. B. Metzler 2007.
Matter, Michael:
Niels W. Gade und der "nordische Ton". Ein musikgeschichtlicher Präzedenzfall. Bärenreiter 2015.
Wasserloos, Yvonne: Kulturgezeiten. Niels W. Gade und C.F.E. Horneman in Leipzig und Kopenhagen, Olms Verlag 2004.
Wasserloos, Yvonne: „Formel hält uns nicht gebunden, unsre Kunst heißt Poesie“. Niels W. Gade und Robert Schumann. Übergänge zwischen Poetischem und Nationalem, J. B. Metzler 2007.
Werke von und über Niels Wilhelm Gade im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek
Werke von und über Niels Wilhelm Gade in der Deutschen Digitalen Bibliothek
Noten und Audiodateien von Niels W. Gade im International Music Score Library Project

Bild

Niels Wilhelm Gade, Lithographie von Johann Georg Weinhold, 1845, Von Johann Georg Weinhold - Dieses Bild stammt aus der Digitalen Bibliothek Gallica und ist verfügbar unter der ID btv1b84180818, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=11376735