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Die Liste der Komponisten wird laufend ergänzt und erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Jón Leifs (01.05.1899–30.07.1968)

Jón Leifs war ein isländischer Dirigent, Komponist, Volksmusik-Forscher und Publizist. Er studierte von 1916 bis 1921 am Königlichen Konservatorium für Musik in Leipzig.

 

  1. Lebensstationen
  2. Privates
  3. Verbindung zu Leipzig
  4. Rezeption
  5. Werke
  6. Quellen und Links

1. Lebensstationen

Jón Leifs wurde am 1. Mai 1899 auf einem Bauernhof in Sólheimar im Nordwesten Islands als Sohn von Þorleifer Jonsson und dessen Frau geboren. Sein Geburtsname war Jón Þorleifsson.

Die Familie siedelte nach Reykjavik um, als er noch ein Kind war. Dort arbeitete sein Vater als Postverwalter. Jón Leifs wuchs in guten finanziellen Verhältnissen auf. Das ermöglichte ihm frühzeitig, sich mit Musik zu beschäftigen. Ab seinem 14. Lebensjahr erhielt er Klavierunterricht bei Herdis Matthiasdóttir und Oscar Johansen, außerdem nahm er Violinunterricht.

Jón Leifs war ein großer Bewunderer des in Norwegen geborenen Edvard Grieg. Insbesondere liebte er seine Klavierstücke, und so inspirierte ihn der Komponist bereits mit 14 Jahren, erste eigene Kompositionsversuche zu wagen.

Sein Wunsch stand damals fest: Er wollte Musik studieren. Deshalb ging er 1916 nach Leipzig, wo schon sein großes Vorbild Edvard Grieg studiert hatte. Am Königlichen Konservatorium lernte er Annie Riethof kennen, die wie er Klavier studierte. Kurz nach seinem Examen im Juni 1921 heirateten sie. Annie Riethof, die Tochter des Glasfabrikanten Edwin Riethof und seiner Frau, stammte aus Teplitz-Schönau in Böhmen und war zwei Jahre älter als er. Sie war Jüdin. Mit ihr hatte Jón Leifs zwei Töchter – Snót und Líf. Die Familie lebte u.a. in Rehbrücke bei Potsdam.

Nach seinem Studium war Jón Leifs in Deutschland als Dirigent tätig. Er unternahm mehrere erfolgreiche Konzertreisen, vor allem in die Tschechoslowakei und in die nordeuropäischen Länder. So ging er 1926 mit dem Hamburger Philharmonischen Orchester auf Tournee nach Norwegen, auf die Färöer-Inseln und in sein Heimatland Island. Dort zeichnete er für das Phonogrammarchiv der Berliner Musikhochschule, das von Erich von Hornbostel geleitet wurde, auch Volkslieder auf. Diese Aufnahmen, die Leifs anfertigte, sind noch heute erhalten. Außerdem verfasste Leifs zahlreiche Artikel über Musik und Interpretation.

1935 wurde ihm die Stelle als musikalischer Leiter des Isländischen Staatlichen Rundfunks angeboten und er ging nach Island, seine Familie blieb in Rehbrücke bei Potsdam zurück. In Island blieb er bis 1939, dann kehrte er zu seiner Familie nach Deutschland zurück. Da seine Frau Jüdin war, bekam sie keine Arbeitsgenehmigung. Jón Leifs wurde trotz der Ehe mit einer Jüdin nicht aus der Reichsmusikkammer ausgeschlossen. Dennoch kam es immer wieder zu Problemen mit dem nazionalsozialistischen System: Leifs erhielt kaum noch Dirigate, und immer seltener wurden seine Kompositionen aufgeführt. 1944 floh die Familie schließlich nach Schweden. Die Ehe wurde 1945 geschieden.

Er heiratete ein zweites Mal – die Schwedin Thea Andersson. Über diese Ehe ist wenig bekannt.

Nach dem Ende des II. Weltkrieges verließ Jón Leifs Schweden und kehrte nach Island zurück. Dort gründete er – ausgehend auch von seinen Erfahrungen aus Deutschland – den isländischen Komponistenverband und 1948 das isländische Musikbüro STEF, eine Urheberrechtsgesellschaft.

Als Komponist allerdings erfuhr er immer wieder die Ablehnung seiner Werke, insbesondere die Uraufführung der Saga Symphonie op. 26 wurde mit Unverständnis aufgenommen. Leifs fiel in eine tiefe seelische Krise. In den 60er Jahren fand er seine Schaffenskraft wieder und komponierte erneut große und fantasievolle Ton-Poeme für Orchester oder für Orchester und Chor (z. B. Hekla im Jahr 1961). Inzwischen fand sich Leifs damit ab, dass seine Werke zu seinen Lebzeiten nicht verstanden wurden und häufig auch die aufführungspraktischen Möglichkeiten der Orchester überstiegen, und schrieb sie gewissermaßen für die Zukunft.

Am 30.Juli 1968 verstarb Jón Leifs und wurde in Reykjavik auf dem Friedhof Fossvogsgarður beigesetzt.

2. Privates

Als Jón Leifs 1916 – er war gerade 17 Jahre alt – nach Deutschland kam, entdeckte er eine für sich völlig neue Welt. Er sagte u.a.: „Zum ersten Mal sah ich eine Straßenbahn, Eisenbahn und vieles mehr… Symbolisch mein erster Spaziergang durch baumhohe Alleen: Fallendes, treibendes, herbstbuntes Laub.“

Zeit seines Lebens hatte Leifs wiederholt mit privaten und musikalischen Schaffenskrisen zu kämpfen. Neben der Ablehnung und dem Unverständnis, das seinen Werken immer wieder entgegengebracht wurde, führte ihn auch die Scheidung von seiner zweiten Frau in ein seelisches Tief. Ein weiteres Ungück ereilte ihn im Juli 1947, als seine Tochter Líf aus erster Ehe vor der schwedischen Küste ertrank. Leifs verarbeitete seine Trauer kompositorisch. In ihrem Gedenken schrieb er das a-cappella-Requiem op. 33b, ein sehr einfühlsames Werk. Außerdem widmete er ihr sein Streichquartett Vita et mors.

1959 heiratete Leifs ein drittes Mal, Þorbjörg Jóhannsdóttir Möller. Sein Sohn Leifur wurde bereits 1957 geboren.

3. Verbindung zu Leipzig

Mit 17 Jahren entschloss sich Leifs, in Deutschland Musik zu studieren, und wählte als Studienort Leipzig. Der Grund für diese Wahl war, dass sein großes Vorbild Edvard Grieg ebenfalls in Leipzig studiert hatte. Damals übrigens änderte der Komponist – mit Genehmigung der zuständigen Stellen seines Heimatlandes – seinen Namen von Jón Þorleifsson in Jón Leifs.

Am 19.Oktober 1916 wurde er mit der Inskriptions-Nr. 12388 am Königlichen Konservatorium der Musik zu Leipzig aufgenommen. Seine Lehrer waren Robert Teichmüller (Klavier) und Paul Graener (Tonsatz).

Sein Examen legte er nach fünfjährigem Studium am Nationalfeiertag Islands, dem 17.06.1921, mit sehr gutem Erfolg ab (Begabung I; Fleiß I; Leistung I), jedoch wandte er sich von einer Pianistenlaufbahn ab und nahm nach seinem Studium Dirigier-Unterricht bei Alfred Szendrei, Otto Lohse und Hermann Scherchen. Szendrei war von 1918 bis 1924 Dirigent an der Leipziger Oper, dirigierte von 1924 bis 1932 das Leipziger Symphonieorchester, und war Direktor des Mitteldeutschen Rundfunks. Otto Lohse kam 1911 nach Leipzig und dirigierte am Stadttheater Leipzig von 1912 bis 1923. Hermann Scherchen stand in Leipzig von 1920 bis 1921 dem „Orchester des Konzertvereins“ vor und setzte sich maßgebend für das Schaffen Gustav Mahlers sowie der Komponisten seiner Zeit ein.

In Leipzig wohnte Jón Leifs in der Fürstenstraße 11, der heutigen Audorfstraße am Floßplatz.

Wahrscheinlich 1928 ging er nach Berlin und wohnte dort in Rehbrücke bei Potsdam (Bergholz-Rehbrücke).

4. Rezeption

Obwohl Jón Leifs heute als bedeutendster isländischer Komponist des 20. Jahrhunderts und als einer der größten Komponisten der jüngeren Musikgeschichte überhaupt gilt, geriet er ob seiner Eigenwilligkeit nach seinem Tod zunächst in Vergessenheit. Erst 1990 wurde er mit Baldr, einer Oper ohne Worte, wiederentdeckt. Heute gilt Jón Leifs als erster Komponist Islands mit internationaler Anerkennung, aber auch als einer der radikalen Komponisten der Moderne. In seinen kompositorischen Werken verschrieb er sich einer sehr eigenen, isländischen Musik. Sein Schaffen – so seine Intuition – sollte auf jeden Fall unbeeindruckt von anderen Strömungen sein.

Zu Lebzeiten stießen seine Werke wegen ihrer modernen Ausdruckswelt und ihrer besonderen aufführungspraktischen Anforderungen oft auf Unverständnis. Doch Leifs wollte seine Überzeugungen nicht momentanen Erfolgen opfern. So bekannte er 1960 in einem unveröffentlichten Aufsatz „Wie ich Musik komponiere“:

„Mein erstes und letztes Ziel in meinem gesamten musikalischen Schaffen ist, ich selbst zu sein, ehrlich und echt zu sein, keinen fremden Einfluß von anderen hereinzulassen, keine Manieriertheit, keinen letzten Ausweg hinsichtlich des Könnens und des Stils …“ Darüber hinaus war ihm wichtig, mit seiner kompositorischen Sprache Islands Musik eine eigenständige Identität zu geben. Die Auseinandersetzung mit der europäischen und nordischen Kultur führte er u.a. in seinem Buch: Islands künstlerische Anregung: Bekenntnisse eines nordischen Musikers.

Zu vielen seiner großen Werke ließ er sich durch Naturphänomene seiner Heimat inspirieren. Das Werk Geysir drückt die Quelle schon im Titel aus. Dettifoss schildert den mächtigsten europäischen Wasserfall im Nordosten Islands. Hafis wurde durch den Eindruck des „Treibeises“ geprägt, und Hekla mit seinem riesigen Apparat an Perkussionsinstrumenten basiert auf einem Vulkanausbruch, den der Komponist 1947 selbst miterlebt hatte. Neben großbesetzten Werken schuf Leifs auch bedeutende für kleinere Besetzung. Seine drei Streichquartette, die aus unterschiedlichen Lebensphasen stammen – das dritte ist dem Maler El Greco gewidmet, die anderen beiden stark autobiographisch geprägt – gehören zu den wichtigsten Werken der Gattung.

Kurz vor seinem Tod 1968 bekannte Leifs, viele seiner Werke habe er komponiert als einen „Protest gegen Wagner, […] der das Wesen und die künstlerische Tradition des Nordens in einer so verabscheuungswürdigen Weise missverstanden hat“.

Einen großen Teil seiner Kompositionen hat Leifs zu Lebzeiten nie hören können. Erst Ende der 1980er Jahre wurden viele seiner Werke uraufgeführt und schließlich auf Tonträger aufgenommen. 1995 entstand über Jón Leifs und seine Frau Annie Riethof-Leifs sowie seine beiden Töchter Snót und Líf ein Film in Kooperation Island/Schweden/Deutschland. Regie führte Hilmar Oddsson. Unter dem Titel „Tränen aus Stein“ schildert er das Leben von Jón Leifs mit seiner Frau Annie und den beiden Töchtern bis zu seiner Ausreise nach Schweden.

5. Werke

Orchesterwerke (z. T. mit Chor):

Hekla (1961)
Geysir (1961)
Hafìs (1965)
Dettifoss (1964)

Isländische Volkstänze (1929–1931)

 

Vokalmusik:

Island Kantate (1929–1930)
Lied der Gudrun (1940)
Baldr (1943–1947)
Die Ballade von Helgi (1964)
Groas Zauber (1965)

Oratorien:

Edda I bis III (1935–1940)

Kammermusik:

Quintett für Flöte, Klarinette, Fagott, Viola und Violoncello (1960)

Klavierkonzerte

Isländische Volkstänze (1929–1931)
Neue Isländische Tänze (1931)
Island Ballade (1922)
Island Scherzo (1922)

Außerdem 3 Streichquartette

Hörbeispiele

Geysir op. 51 (1961) https://www.youtube.com/watch?v=iEthgtm4n3U
Konzert für Orgel op. 7 (1930) https://www.youtube.com/watch?v=rTPi6ehepMo
Isländische Volkstänze op. 11 (1929) https://www.youtube.com/watch?v=La4EkWFJr2M

6. Quellen und Links

Åhlén, Carl-Gunnar: Jón Leifs. Ein genialer Komponist, von niemandem ernst genommen, in: Island 3. Jg. Heft 1, April 1997, S. 18.
Bergendahl, Göran:
New Music in Iceland, Reykjavík.1991.
Cunnings, Robert: Artist Biography, www.allmusic.com/artist/j%C3%B3n-leifs-mn0002149366/biography.
Finscher, Ludwig (Hrsg.): Die Musik in Geschichte und Gegenwart, Personenteil, 2. neubearbeitete Auflage, Kassel u. a. 2003.
Heister, Hans-Werner & Sparrer, Walter-Wolfgang (Hrsg.): Komponisten der Gegenwart, München 2019 www.munzinger.de/document.
https://nordische-musik.de/komponist.php?id_komponist=404
http://www.klassik-heute.com/4daction/www_thema_id/1472

Bild

Jón Leifs, Foto von 1934, Wikipedia, Willem van de Poll, CC BY-SA 3.0 <https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0>, via Wikimedia Commons